Artikel in der Dorfpost vom März 2020:
Das «Holzlabor» in Thalheim – mehr als eine Holzwerkstatt
Draussen hängt ein hölzernes Schild mit einem klopfenden Specht, vor dem ehemaligen Bauernhaus liegen Bretter- und Brennholzstapel zum Trocknen, durch die Glastür der Werkstatt erkennt man die grossen Holzbearbeitungsmaschinen. Die Endprodukte stehen hinter dem Haus auf dem Land gegen die Thur hinunter: Zirkuswagen, Holzwagen für Marktfahrer, Wohnwagen für alternative Wohnformen – alle hergestellt mit den bewährten alten Techniken des Wagnerhandwerks. Aber das «Holzlabor» ist mehr als eine auf Wagen spezialisierte Schreinerei. Hinter dem Namen «Holzlabor» verbirgt sich ein Labor für zahlreiche weitere alternative Arbeits- und Lebensentwürfe. Welche das sind und wie es dazu kam, das wollte ich an einem Samstagnachmittag im Jänner von meinen Nachbarn in der Stube an der Thurtalstrasse 30 bei einem gemeinsamen Tee gleich selbst in Erfahrung bringen.
Der Verein «Holzlabor»
Das «Holzlabor» ist eigentlich ein 2007 gegründeter Verein, ein «Dach», unter dem verschiedene Interessen, Ideen, Projekte und Wohnformen Platz haben. Der Verein vermietet die Wohn-, Arbeits- und Lagerräume an der Thurtalstrasse und bewirtschaftet die Baumwiesen, Pflanzflächen und Hecken, die zur Liegenschaft gehören. Mieter und Vereinsmitglieder sind in erster Linie die Mitarbeitenden der «Genossenschaft Holzlabor», also der oben erwähnten Holzwerkstatt, sowie die Bewohner/innen des Wohnhauses an der Thurtalstrasse 30 und die Bewohner/innen der beiden von der Gemeinde bewilligten Holzwohnwagen. Die Bewohner/innen engagieren sich neben ihrer Berufstätigkeit auch in Hof und Garten – sei es bei der Pflege der Hochstammobstbäume, bei der Haltung der Enten, Hühner und Wollschweine, im Gemüsegarten oder beim Holzen. Bis zu ihrem Umzug nach Ellikon an der Thur im Jahr 2018, wo sie die Gärtnerei der Forel-Klinik übernehmen konnten, gehörten auch die Mitarbeitenden des Projekts «Gmüesabo» dazu. Sie entwickelten sich mit dem Anbau und Vertrieb von Bio-Gemüse allmählich zu einer eigenständigen Betriebsorganisation und gründeten 2014 die «Genossenschaft Gmüesabo». Ebenso ist seit 2015 die Einzelfirma «Gärtner Jonas» Mitglied. Des Weiteren gehört zum Verein auch das kurzzeitig ebenfalls als Verein organisierte «Specht-Bier», dessen Brauinfrastruktur nun hälftig im Besitz von Jonas und vom Circolino Pipistrello in Rikon ist. Diese Organisationsstrukturen haben sich über die Jahre entwickelt und verändert. Der Verein zählt ca. 25 Mitglieder, wovon rund die Hälfte tatsächlich aktiv ist. Das gemeinschaftliche Leben und Arbeiten und die selbstorganisierten kooperativen Strukturen erfordern eine wiederkehrende interne Verständigung über anstehende Aufgaben, Herausforderungen und Perspektiven, weshalb sich die Vereinsmitglieder drei bis vier Mal pro Jahr an einem externen Ort zu einer Retraite zusammenfinden.
Die Menschen und die Ideen dahinter
Viel wichtiger als das nicht nur für Aussenstehende ein bisschen kompliziert wirkende Organigramm sind aber ohnehin die Menschen dahinter. Walter Jordi, im Dorf kurz «Wajo» genannt, zieht einem schematischen Organigramm denn auch das Bild eines Baums vor, um Sinn und Geist des «Holzlabors» zu veranschaulichen: ein lebendiger Organismus, wo Äste wachsen (dürfen), aber auch manchmal ein korrigierender Schnitt notwendig ist, um Wuchs und Gedeihen des Gesamten zu begünstigen, eine gewachsene Ordnung sozusagen.Walter und Christine Jordi legten den Grundstein fürs «Holzlabor», als sie 1977 die Gebäude an der Thurtalstrasse 30 kauften. Haus und Hof boten genug Raum für weitere Bewohner/innen und so wurde mit einem zweiten Ehepaar eine Hausgemeinschaft gegründet. Die Geschwister Christine Jordi-Morf und Dori Schüssler-Morf mit ihren Partnern und je drei Kindern wohnten schliesslich rund 20 Jahre in dem gemeinsamen Haushalt. Als die sechs Kinder dann älter und allmählich flügge wurden, zogen die beiden Ehepaare in eigene Wohnungen, gewissermassen ins «Stöckli», und gaben Haus und Umgebung zur Nutzung an eine jüngere Generation weiter. Bereits seit März 2014 wohnen nun Jonas und Rebekka mit ihren mittlerweile drei Kindern im alten Bauernhaus. Später sind Jürg, der zeitweilig in einem der beiden Holzwohnwagen lebt, sowie Sandra und zuletzt Raphael und Laura zur Bewohnergruppe dazugestossen. Letztere beide betreiben in der 2019 aufgebauten Jurte eine Atelierarbeitsgemeinschaft. Den anderen Holzwohnwagen bewohnt Adi inzwischen schon seit mehr als zehn Jahren. Die Wohngemeinschaft besteht zurzeit also aus sechs Erwachsenen und drei Kindern. Tobias Jordi hatte während seiner Ausbildung zum Schreiner in Genf bei der Kooperative «Jardins de Cocagne» das Konzept der Vertragslandwirtschaft kennen und schätzen gelernt und diese Idee zurück nach Thalheim gebracht. In der Folge entstand 2009 – zeitgleich mit der selbstverwalteten Gemüsekooperative «Ortoloco» in Zürich – das «Gmüesabo», in seiner Art damals das erste in der Region Winterthur. Heute ist die Thurtalstrasse 30 noch ein Depotstandort für die Gemüsekörbe.
Die Grundsätze des Vereins «Holzlabor» sind in den Vereinsstatuten festgehalten. Darunter figurieren u.a. das Praktizieren und Fördern von klassischem, qualitativ hochwertigem Handwerk, das Praktizieren und Fördern einer nachhaltigen, lokalen, naturnahen Landwirtschaft sowie der Wille, einen Beitrag zur Bereicherung des Dorflebens zu leisten bzw. sich als Teil der geografischen und sozialen Umgebung zu verstehen. Die beiden erstgenannten Ziele werden im Rahmen der Holzwerkstatt sowie mit dem «Gmüesabo» verwirklicht. Zum dritten Punkt sind die Werkstattbeiz am Thalheimer Dorfmärt, das jährliche Sommerfest ebenso wie die kulturellen Anlässe (Konzerte, Vorträge etc.) in den Räumen der Schreinerei zu erwähnen. Darüber hinaus sollen die Gebäude, der Umschwung (zurzeit ca. 1.8 ha Land), aber auch die vorhandene Infrastruktur einen Ermöglichungsraum für Ideen von aussen bieten, sofern sie den Vereinszwecken entsprechen. Der Verein «Holzlabor» nimmt dabei die Funktion eines Liegenschaftsverwalters bzw. eines Landverpächters ein.
Ein «alternatives» Projekt?
Christine Jordi sagt es so: «Schon die Familie Morf, also vor allem ihre Mutter Els Morf-Bachmann, war ein bisschen anders.» Morfs wohnten an der Thurtalstrasse 40 und hatten sieben Kinder. Die Mutter schrieb nebenbei Mundarttexte, die sie publizierte, und baute die Bibliothek im Schulhaus Thalheim mit auf. Sie sprengte damit auf sanfte Art die Konventionen bezüglich des Aufgabenbereichs einer Bauernfrau. Anders im Sinn von im Gegensatz zum Herkömmlichen stehend oder andere Formen des Zusammenlebens und -arbeitens ausprobierend ist auch das, was die Leitideen hinter dem «Holzlabor» auszeichnet. Denn hier wird mit als zeitgemäss empfundenen Wohn- und Arbeitsformen in der Praxis experimentiert. «Wir erachten eine Wirtschaft, die auf unbegrenztem Wachstum und Profit basiert, als nicht zukunftsfähig und sind der Ansicht, dass wir für die Umsetzung einer bedürfnisorientierten Ökonomie andere Wege beschreiten müssen. Es ist unser erklärtes Ziel, durch aktives Tun alternative Gesellschafts- und Wirtschaftsmodelle zu leben», steht auf der Website des «Holzlabors». Die Wohngemeinschaft beispielsweise ist nicht nur eine Zweckgemeinschaft, um Mietkosten zu sparen, sondern versucht sich an einem echten Zusammenleben verschiedener Generationen. Zudem steht das Erdgeschoss des Wohnhauses allen Menschen, die auf dem Hof arbeiten, offen, was Raum für vielfältige Begegnungen schafft. Die in der Schreinerei tätigen Menschen wechseln ebenfalls stetig, machen doch immer wieder Wandergesell/innen im «Holzlabor» Halt oder sind Genossenschafter/innen hier, um ihr eigenes Holzwagenprojekt zu verwirklichen. So entstehen ausgehend von dem kleinen Dorf im Weinland wertvolle und für alle Seiten lehrreiche Kontakte weit über Ländergrenzen hinweg.
Ulli Schelling